Die Sammlerin (Teil 1 - 4)
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by Alphatier, © 2014/2015
"Mein Ziel ist es, den Besuchern die wunderbare Komplexität des menschlichen und tierischen Körpers lebensnah aufzuzeigen. Hierbei soll das Plastinat auch an die eigene Sterblichkeit erinnern, indem es gleichsam augenzwinkernd zu den Betrachtern spricht:
Ich war, wie Du bist: lebendig
Du wirst sein, wie ich bin: tot
Jedoch kannst Du auch sein, was ich bin: ein Plastinat."
- Gunther von Hagens (Deutscher Anatomiekünstler und Erfinder der Plastination)
1. Ein lukratives Angebot
Fiona DiSteffano schaltete den kleinen Videomonitor aus und erhob sich von dem gigantischen Schreibtisch aus schwarzlackiertem Mahagoni. Sie straffte sich und strich mit der Hand sachte über das streng gescheitelte fuchsrote Haar mit dem Pferdeschwanz.
Gleich mussten sie kommen, dachte sie und blickte kurz durch das Wirrwarr von Skulpturen, Plakaten mit anatomischen Diagrammen und Plastiken zum Ausgang des ehemaligen Theatersaals, in dem sie ihre Ausstellung hatte. Sie verharrte noch einen weiteren Moment und ging dann Richtung Ausgang.
Sie passierte ein junges Paar mit dem langweiligen Look gewollt hipper Jungkünstler, dass gerade eine durch mehrere Granitplatten zertrennte abstrakte Metallskulptur anschaute.
Amateure, dachte Fiona verächtlich und betrachtete im Vorbeigehen die brünette Freundin des Mannes. Nein. Zu herb und ohne Inspiration.
Sie machte eine leichte Drehung und begab sich in die südwestliche Ecke des Raumes, wo eine lange Glasvitrine mit kleineren Exponaten die mit schwarzem Velours beklebte Wand ausfüllte. Sie blickte wieder zum Eingang, dessen schwere Holztüren weit aufgesperrt waren.
Es war noch niemand zu sehen und sie stoppte neben einem leeren Marmorsockel, der massiv und wuchtig, etwa hüfthoch in den Raum ragte. Zwei grobe, an den Enden offensichtlich provisorisch mit Plastikfolie ummantelte, Metallrohre traten aus der Basis heraus und ragten sinnlos ins Leere.
Noch viel zu tun, sagte Fiona leise zu sich und blickte nach rechts, wo eine weitere meisterhaft gearbeitete Skulptur auf einem ähnlichen Sockel thronte. Sie hatte die Gestalt einer Fruchtbarkeitsgöttin. Eine unmenschlich schmale Taille und ein herrlich geformtes Paar schwerer der Schwerkraft trotzender Brüste. Die kräftigen Beine waren durch eine Art Sattel nahtlos miteinander und dem Sockel verbunden. Ein Arm war lasziv in die eingebeugte Seite gepresst, während der andere einen langen zylindrischen Gegenstand von oben herab in den unnatürlich weit aufgesperrten Mund der Statue führte. Die Augen weit aufgerissen. Panisch beinahe.
Fiona nickte anerkennend und befeuchtete sich kaum merklich mit der Zunge die Lippen.
"Hallo Judith.", sagte sie tonlos und ließ ihren Blick über eine im Sockel eingelassene Messingplakette schweifen. 'Selbstverschuldet' von Fiona DiSteffano.
Sie warf einen schnellen aufmerksamen Blick zu dem Pärchen und schaute dann mit einem maliziösen Lächeln auf eine am rechten Rand des Sockels integrierte Metallplatte, als sie plötzlich Gelächter vom Eingang her hörte.
Zwei hübsche junge Frauen Mitte zwanzig, sportlich und im Studentinnenlook, eine von ihnen mit einer Hochglanzbroschüre von Fionas Ausstellung in der Hand, betraten lachend den Raum, verfielen jedoch angesichts der Kunstwerke schnell in Schweigen.
Die eine, eine zurückhaltend wirkende Blonde mit zwei geflochtenen schulterlangen Zöpfen, blickte auf ein Schild an einem Ständer und hielt die andere fest, um etwas zu sagen und legte gleichzeitig ihre schwarze Umhängetasche ab und packte sie in eine der offenen Holzboxen neben dem Eingang. Die andere, etwas größer, sehr sportlich und dunkelblond mit einem kurz frisierten Bob, schaute sie mit einer Mischung aus Widerwillen und Belustigung an, tat es ihr jedoch schließlich mit ihrem Rucksack gleich.
Fiona entdeckte derweil einige, vermutlich von Besuchern verursachte, Schmutzablagerungen auf dem rechten Bein der Skulptur und zog einen kleinen Reinigungspinsel aus der Innentasche ihres Jacketts. Sie begann langsam über die Stelle zu bürsten, während sie gleichzeitig, die beiden attraktiven jungen Frauen, die inzwischen weitergingen, und das Pärchen im Auge behielt.
Letzteres bewegte sich zum Ausgang und Fiona bemerkte, dass ihr die Frau noch einen kurzen nervösen Blick zuwarf, bevor sie mit ihrem Freund zum Ende der Ausstellung eilte.
Ein feines Lächeln zog über Fionas Gesicht. Sehe ich wirklich so räuberisch aus?
Sie grinste in sich hinein und pinselte weiter über den kleine Schmutzfleck. Er war zum Glück leicht zu entfernen und sie holte, nachdem sie fertig war, eine kleine orangefarbene Spraydose aus ihrer Tasche und sprühte über die Stelle. Es bildete sich ein feuchter Fleck, der unter Bildung weißer Bläschen schnell verdunstete. Perfekt.
Sie blickte wieder zu den beiden Studentinnen, die sich dem Rundgang folgend, mittlerweile ihrer Position näherten. Fiona trat einen Schritt zurück und begutachtete ihr Werk.
"Nun bist du wieder frisch und sauber.", sagte sie gedankenverloren, "Zu schade, dass Alena dich jetzt nicht sehen kann. Aber wer weiß, irgendwann wird Tabea sicherlich genug von deiner Tochter haben."
Fiona lächelte und für einen Moment hatte es den Anschein, als ob die Augen der Statue noch ein Stück weiter aufgerissen wären. Sie nickte zufrieden und schaute wieder zu den beiden Studentinnen und dann zu dem leeren Sockel. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und sie entfernte sich einige Meter zu der matt erleuchteten Glasvitrine.
Doch sie betrachtete nicht die Exponate, kleine, bizarre, aus einem weißlichem perlmuttglänzenden Material hergestellte Schmuckgegenstände, denen man ihre wahre Herkunft nicht ansah, sondern die beiden Studentinnen, die sie gut im spiegelnden Glanz der Vitrinen erkennen konnte.
Scheinbar unbeobachtet, änderte sich das Verhalten der etwas älteren und offenkundig vorlauteren Dunkelblonden. Sie schien Witze über die Exponate zu machen, und machte eine Geste zu der jüngeren Blonden, die in etwa 'verrückt' bedeuten mochte. Die jüngere schaute argwöhnisch zu Fiona und kicherte erst, als sie sicher war, dass niemand sie sehen konnte, was ihr die ältere neckisch vorhielt.
Fiona tat unterdessen, als ob sie davon nichts mitbekäme und öffnete eine schmale Schublade unter der Vitrine, auf der sich ein Audiosymbol befand. Eine Reihe von Kopfhören sprang ihr entgegen und sie nahm einen, und streifte ihn über ihren Kopf. Dann tippte sie einen speziellen Code in das kleine Nummernfeld, dass in die Schublade eingebettet war.
Es gab einen kurzen Piepton, gefolgt von einer elektronischen Frauenstimme.
"Bitte bestätigen."
Fiona drückte die Zahlenkombination ein zweites Mal und dann die fünf. Es folgte ein kurzes statisches Rauschen und man merkte, wie sich das Gerät einstellte und plötzlich Stimmen ausgab.
"... hier.", hörte man eine blechern klingende junge Frauenstimme, gefolgt von einem verhaltenen Lachen.
"Nich' so laut, eh!", hörte man eine zweite.
"Oh, Julia, sei nich' so ängstlich. Die Alte kann uns nicht hören."
"Man!", zischte die mit Julia angesprochene Blonde zurück, "das ist voll peinlich mit dir."
"Na und?", lachte die andere, "halt mich doch auf. Was willst du dagegen tun?"
"Bitte Jule! Blamier' uns hier nicht, wo ich schon extra mitgekommen bin."
Julia und Jule, dachte Fiona amüsiert. Es schien fast so, als ob Eltern ihren Kindern keine anderen Namen mehr gaben. Das Gespräch der beiden jungen Frauen ging unterdessen weiter.
"Extra?", lachte die andere, "du wolltest doch den Job bei der Bank."
"Ja du weißt doch, wie nötig ich den brauche, aber diese komische Ausstellung war trotzdem deine Idee. Der Jungbrunnen - Geschichten vom Beginn und Ende der Leiblichkeit", las sie leise vom dem Prospekt ab und schüttelte den Kopf, "Was ist das überhaupt für ein Name?"
Die Blonde schien ein Vorstellungsgespräch bei der Bank gegenüber zu haben, spekulierte Fiona. Es kam oft vor, dass Kunden der Bank gegenüber, sich in ihre Ausstellung verirrten, aber es waren selten zwei so hübsche Exemplare, dachte sie und musterte die Dunkelblonde genauer. Sie hatte nicht so ein weiches, mädchenhaftes Gesicht wie die andere, aber ein paar lustige Sommersprossen und eine niedliche Stupsnase.
Sexy, dachte Fiona und taxierte sie weiter. Die Dunkelblonde schien ein H-Typ mit einem ein Paar netter A-Körbchen zu sein, die sanft durch den roten Sweater zeichneten. Schmale Hüften, kaum Taille, ein flacher Po und darunter gut trainierte Oberschenkel und Waden, welche unter der engen blauen Jeans spannten.
"Ok, ok, konnte ja keiner ahnen, dass es so eine, ähm, krasse Freakshow ist.", sprach die ältere Dunkelblonde derweil weiter, was Fiona den Mund zu einem feinen Strich zusammenpressen ließ, "Aber wenigstens kostet es uns nichts."
"Das ist aber auch das einzige. Teilweise ist das echt krank hier. Die Metallfigur sieht wie zersägt aus.", sagte die offenbar etwas schüchternere Blonde und Fiona sah im Spiegel, wie sie instinktiv die Arme vor dem Oberkörper verschränkte.
Es hob wie automatisch ihre schönen, unter dem blassgelben T-Sirt leicht glockenförmig durchscheinenden Brüste etwas an, die Fiona auf etwa 80C schätzte. Ein gutes Material, um damit zu arbeiten, durchfuhr es sie und ließ ihren Blick weiter unauffällig über den Körper der Blonden schweifen. Sie wirkte mit dem weiten Becken und der sexy Beinlücke zwischen den schönen Schenkeln in der schwarzen Seidenhose ebenfalls sportlich, aber nicht so trainiert, wie die andere. Das mochte jedoch daran liegen, dass sie ein A-Typ mit einer natürlich und sanft geschwungenen Uhrenglasform war und Fiona zuckte mit den Schultern. Es war Aufgabe des Künstlers aus allem etwas zu machen und sie mochte alle Formen der Weiblichkeit.
Jule machte inzwischen ein tiefes Geräusch wie aus der Geisterbahn, was Julia zum kichern brachte.
"Oh, man.", sagte sie, "du bist albern."
"Besser albern, als unlustig."
"Was soll'n das heißen Juliane?", kam die schmollende Antwort.
"Och, nix Frau Göthe.", sagte die Angesprochene lachend und Julia fiel mit einem gespielten Schmollmund ein.
"Sie sind sehr fies Frau Bernhardt.", sagte sie schnippisch und man sah an ihrem Grinsen, dass die beiden sich offenbar gut genug kannten, um solche Frotzeleien zu ertragen.
"Ach komm, Gigi.", entgegnete Jule fürsorglich, "ich hätt' dir den Job gegeben."
Die jüngere lachte erneut, doch es war nicht so fröhlich wie eben und Fiona sah, dass sie den Kopf schief legte. Es hatte wohl nicht geklappt mit dem Job.
"Weiß ich doch, ich ...", hörte Fiona jetzt Julia sagen, doch plötzlich erfüllte statisches Rauschen die Kopfhörer und die Künstlerin verzog erneut den Mund. Ausgerechnet jetzt.
Aber die Technik pegelte sich nach einigen Sekunden wieder ein und man hörte die Stimmen wieder klar und deutlich.
"... -ausend Euro.", hörte man undeutlich jemand sagen und Fiona schloss aus dem Umstand, dass Jule antwortete, dass es Julia gewesen war.
"Hm, Scheiße.", sagte Jule mitfühlend, "und bis wann brauchst du die Rate nochmal?"
"In vier Monaten.", kam die hoffnungslos klingende Antwort.
"Vielleicht überlegen sie sich's noch. Und mit 2000 könnte ich euch aushelfen, aber mehr geht echt nicht."
"Das kann ich nicht annehmen.", erwiderte Julia, "und es würde auch nicht ausreichen bis August."
Fiona horchte interessiert auf. Es schien um größere Beträge zu gehen, und die hübsche Blonde hatte offenbar große Probleme, sie zurückzuzahlen.
"Vielleicht nehmen sie dich doch noch.", sagte die ältere der beiden "Es sah doch ganz gut aus ..."
"Nee, sie hat mir doch schon gesagt, dass sie wahrscheinlich jemand anderes nehmen.", erwiderte Julia mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck.
"Aber sicher ist es nicht."
"Du bist unverbesserliche Optimistin, was?"
"Mensch Gigi.", hob Jule, beziehungsweise Juliane betont energisch zu sprechen an, "das ist eben der Unterschied zwischen uns. Du musst einfach mal etwas zuversichtlicher sein."
"Ja na toll, davon krieg' ich den Job auch nicht, und ich brauch' die Kohle, um die Scheiß-Raten abzuzahlen."
"Es findet sich sicher 'ne Lösung. Du kannst doch immer noch deine Eltern fragen. Du musst ja nicht sagen, wofür."
"Hab' ich so indirekt schon.", erwiderte Julia und zuckte hilflos mit den Achseln, "Die haben selber noch Kredite wegen der Praxis und 'ne Hypothek die sie abzahlen. Und mein Vater konnte Marc noch nie leiden."
"Hm, ok. Da kommt einiges zusammen.", sagte Juliane etwas ratlos und atmete geräuschvoll die Luft aus, "aber warten wir doch erst mal ab, ob sie mich nehmen und vielleicht kann ich dich dann nachholen. Ich glaub, ich hab' bei denen gute Karten und in jedem Fall kann ich dir dann unter die Arme greifen."
"Meinst du?", entgegnete Julia und es klang direkt ein wenig hoffnungsvoll.
"Ja, ganz sicher. Am besten du wartest hier solange in DiSteffanos abgefahrenem Gruselkabinett, bis ich meinen Termin hatte und dann können wir alles bereden. Glaub' mir, alles wird gut."
"Oh man Jule, das ist echt so super von dir."
"Heh, heh, heh … du kannst mir später danken.", grinste die Angesprochene, "ich hab' noch zehn Minuten bis ich rüber muss, und da lass' uns die Zeit nicht mit Problemen verschwenden. Ich will unbedingt noch ein paar von den hässlichen Monsterskulpturen hier betrachten. Siehst du das da?"
Sie deutete auf das Exponat 'Selbstverschuldet' und grinste.
"Leicht pervers, was?", fügte sie hinzu und verzog das Gesicht, "ich glaub' die gute Fiona hat einen ordentlichen Schuss weg. Ich gehe jede Wette, dass dieser käseblasse Feuermelder mit dem peinlichen Hut da drüben krass unterfickt ist."
"Oooh, Jule!"
"Genau wie du."
"Mannnn ehh!"
"Ist doch so.", sagte die Dunkelblonde grinsend, "Oder hat du mal was gehabt, seit Marc weg ist. Und nein, diese komische Psychogeschichte nach Sarahs Party damals zählt nicht."
Die Blonde schaute ärgerlich zur Seite,
"Es ist voll scheiße damit anzufangen.", sagte sie, "Ich hab das nicht gewollt."
Jule sah, was sie angerichtet hatte und legte entschuldigend ihre Hand auf den Arm ihrer Freundin.
"Sorry Gigi.", sagte sie, "Tut mir Leid und ich finde, dass mal ein Jahr auszusetzen ok ist, aber du machst dich nur unglücklich, wenn du keinem mehr eine Chance gibst. Willst du für den Rest deines Lebens nur noch heimlich masturbieren, wenn du denkst, dass ich es nicht merke?"
"Sei nich' so laut.", entfuhr es Julia entsetzt und sie knuffte ihre Freundin in die Seite, "die schmeißt uns hier noch raus."
"Kann sie ja, aber nicht jetzt. Erst will ich mir das Ding noch ansehen."
Sie ging einen Schritt in Richtung des Exponats, an dem Fiona gerade noch gestanden hatte, hielt aber inne, als sie merkte, dass Julia zögerte. Sie griff sie am Arm und zog sie mit.
"Los.", sagte sie und lachte, "ich sag's ja, die hat einen Dildo in der Hand."
"Quatsch!"
"Nein ehrlich, die kompensiert hier was.", lachte Julia und schaute verschwörerisch, "Aber ja, du musst es ja wissen."
"Oh ehhh! Ich hab dir doch gesagt, dass Marc das blöde Ding damals gekauft hat und ich es nicht benutze!"
"Dann hättest du ihn auch wegschmeißen können."
"Man bitte Jule. Die steht gleich da drüben.", kam Julias Antwort unglücklich und sie deutete verzweifelt in Richtung Fiona, die in etwa 10 Metern Entfernung mit dem Rücken zu ihnen stand.
"Und? Lady Frankenstein müsste schon Augen und Ohren wie ein Luchs haben, um etwas mitzukriegen.", lachte Juliane und zog Julia weiter zu der Statue.
"Selbstverschuldet.", las Julia von der Metallplakette ab, als sie vor der Statue stand, "komischer Name. Was wollte uns der Künstler damit sagen?"
Sie betonte die letzten Worte im Stil von Fernsehkommentatoren und grinste zu Juliane, die zurücklachte.
"Dass ein Dildo sehr nahrhaft ist."
"Man eh!"
"Nein wirklich, Fiona - The Psycho - von Hagen sollte sich mal lieber ordentlich durchbumsen lassen. Was sonst hat dieses hässliche Ding denn da im Mund? Künstler sind eh komische Leute und was sie machen, sagt viel über sie aus.", witzelte Juliane und stellte stark übertrieben die Pose der Skulptur nach, "Und ich glaub' einfach, dass Frau DiSteffano da oben leicht verdreht und etwas schwanzgeil ist."
"Ahhh!", rief Julia jetzt, "ich hau' gleich ab, wenn du nicht wieder normal bist. Und das könnte alles Mögliche sein."
Aber Juliane lachte nur.
"Alles Mögliche. So, so, was denn zum Beispiel?"
"Oh man.", sagte Julia jedoch nur und verdrehte die Augen, "ich glaub', die warten drüben schon auf dich."
"Da hast du aber Glück gehabt.", sagte die andere und grinste, "aber das Gespräch setzen wir nachher fort. In 'ner Stunde beim Bäcker."
Die letzten Worte rief sie etwas lauter, da sie bereits Richtung Ausgang lief, wo die offenen Garderobeboxen aufgereiht waren. Sie griff nach ihrem schwarz-roten Rucksack und verschwand mit einem kurzen Winken aus dem Raum.
Julia blickte ihr eine Sekunde nachdenklich hinterher und ging einige Schritte zu der nächsten Skulptur. Ihr schien, als wäre der Raum mit Julianes Weggehen irgendwie kälter und düsterer geworden. Man konnte es regelrecht spüren und ein Frösteln lief über ihren Rücken.
"Gefällt dir meine Arbeit?", hörte sie plötzlich eine rauchige Stimme.
Julia zuckte zutiefst erschrocken zusammen und fuhr herum, wobei sie den Sockel der Skulptur streifte und diese leicht zu zittern begann.
"Oh.", sagte sie atemlos und starrte einen Moment wie gelämt in die räteslhaften grünen Augen einer attraktiven, aber sehr blassen Mitvierzigerin in einem schwarzen Businesskostüm und mit einem schwarzen Fedorahut auf dem Kopf. Die Frau war etwas größer als sie selber und wirkte irgendwie ehrfurchtgebietend, jedoch nicht unfreundlich.
Fiona lächelte und streckte den Arm aus, so dass Julia ein Stück zurückwich. Doch die Frau griff nur nach der Skulptur und stabilisierte sie.
"Entschuldigung.", entfuhr es Julia und sie errötete, "Ich wollte nicht ..."
"Keine Angst.", sagte die andere und lächelte herzlich, "du kannst es ruhig anfassen. Es ist Interaktionskunst."
"Hm, ok.", stammelte Julia und strich sich nervös durch das Haar, "ich wollte trotzdem nicht ..."
Sie hörte mitten im Satz auf und versuchte ein hilfloses Lachen. Die ganze Situation war ihr total peinlich und egal, ob es erlaubt war oder nicht, sie hatte nicht vorgehabt, hier irgendetwas anzustellen.
Aber die andere Frau, die die Künstlerin zu sein schien, schien fast darauf zu bestehen, dass Julia das Kunstwerk durch irgendeine weitere Handlung würdigte.
"Fass' es ruhig an.", sagte sie und schaute Julia mit ihren grünen Katzenaugen auffordernd und fast etwas hypnotisch an, " Die Sockel sind massiv, sie wackeln nur manchmal etwas, weil sie auf einem Rollensystem gelagert sind. Du kannst mir glauben, das ist meine Ausstellung."
"Ok.", sagte Julia leise und berührte vorsichtig den Rock der Skulptur. Es war eine Frauengestalt in einem seltsam geschnittenen Businesskostüm. Das Gewebe war seltsam leicht, wie lackierter Gips, aber nicht so starr. Julia hatte das Gefühl, dass es sogar ein klein wenig nachgab. Es war ein merkwürdiges Material und Julia konnte sich nicht erinnern, je etwas ähnliches gesehen zu haben. Aber was wusste sie schon, dachte sie und schaute erwartungsvoll zu der Künstlerin.
"Fass' das Bein an.", sagte diese jedoch nur und nickte aufmunternd, so dass Julia nicht wusste, wie sie ohne unhöflich zu wirken, ablehnen sollte.
"Etwas warm.", sagte sie erstaunt und schaute verblüfft zu Fiona.
"Ja, ein spezielles Material.", erklärte diese bereitwillig, "es ist ziemlich teuer, etwa 3000 Euro pro Kilo, aber es hat einzigartige Eigenschaften und ist jeden Cent wert."
"Wow.", entfuhr es Julia und sie grinste verlegen, "und ich dachte immer Künstler sind arm."
Fiona lachte hell auf.
"In den meisten Fällen trifft das auch zu, aber ich hatte das Glück, vermögenden Eltern zu haben und meine Plastiken verkaufen sich gut. Ich gebe zu, das ist selten in der Branche. Aber wo bleiben meine Manieren. Ich bin Fiona DiSteffano und bin gewissermaßen die Ausstellungsleiterin, Künstlerin und Besitzerin in einer Person. Du kannst mich Fiona nennen."
Sie strahlte Julia herzlich an und streckte ihre Hand aus.
"I-ich, ich bin Julia.", entgegnete die junge Studentin zögerlich und griff die dargebotene Hand, die Fiona etwas länger und fester hielt als nötig.
"Du studierst?"
"J-ja?"
Fional lachte kurz.
"Entschuldige, aber man sieht es euch an der Nasenspitze an. Nur nicht was, aber es ist sicher nicht Betriebswirtschaft."
"Nee.", grinste Julia, "Ethnologie, so ungefähr das Gegenteil."
"Interessant, ich hätte auf Sportstudentinnen, beziehungsweise Lehramt getippt, zumindest bei deiner Freundin."
"Oh, nein, sie hat Kommunikationswiss-.", begann Julia den Satz, doch ertappte sich dabei, dass sie hier vor der Schöpferin dieser komischen Exponate stand und ihr unheimliche viele Informationen erzählte.
"Kommunikationswissenschaften?", fragte Fiona jedoch sofort nach.
"Äh, ja.", sagte Julia etwas einsilbig, da sie nicht wusste, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Fiona schien nicht so verrückt zu sein wie gedacht und es bestand eigentlich kein Grund für Argwohn.
"Aber ihr macht Sport, richtig?", lachte jetzt Fiona erneut, "bitte lass' mich nicht ganz falsch liegen."
Julia musste grinsen.
"Wir haben früher Volleyball im Verein gespielt.", sagte sie und Fiona strahlte, als sie die Antwort hörte.
"Wusste ich's doch. Ich' habe vor und während des Studiums Handball gespielt. Mittlerweile fehlt mir dazu die Zeit. Aber sag' doch, wie gefällt sie dir?"
"D-die Skulptur?"
"Ja. Du kannst ruhig ehrlich sein.", sagte Fiona und schaute Julia aufmunternd an, "es gibt für einen Künstler nichts schlimmeres, als wenn sein Werk nicht rezipiert wird."
Julia war die Situation unangenehm. Sie hatte überhaupt nicht in diese Ausstellung gewollt und für Kunst, wie diese, interessierte sie sich nicht besonders. Und jetzt sollte sie etwas über die Statue vor ihr sagen, die sie genauso abstoßend fand, wie die anderen Werke. Julia seufzte innerlich auf. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Fiona eine ehrliche Antwort haben wollte.
"Sieht etwas düster aus.", versuchte Julia ein halbwegs passendes, aber nicht beleidigendes Attribut zu finden.
Der gequälte Ausdruck der Skulptur war nicht zu übersehen. Sie war zudem seltsam disproportioniert, viel zu kurz für ihre Größe.
"Ja, da ist etwas dran. Ich habe sie meiner ehemaligen Anwältin nachempfunden.", gab Fiona lachend zu, "sie arbeitete vier Jahre für mich und hat dann ihre geschäftlichen Vollmachten genutzt, um spurlos mit einer viertelmillion Euro von meinem Geschäftskonto zu verschwinden."
"Krass.", sagte Julia und begriff, dass die Skulptur wohl so aus sah, wie die ältere Frau sich ihre Anwältin in Ermangelung einer gerechten Strafe wünschte, "aber warum ist sie so, äh verformt?"
Sie versuchte ein Lächeln.
"Eine gute Frage, Julia.", sagte Fiona und nickte anerkennend, "die meisten, ich nenne sie Kunsttouristen, gehen einfach nur vorbei und hinterfragen gar nichts. Sie denken ich wäre … verrückt ..."
Sie betont das letzte Wort etwas und Fiona registrierte zufrieden, dass Julia für einen Moment einen Tick blasser wurde, bevor sie mit einem Lächeln fortfuhr.
"... aber ich bin froh, dass du über die nötige Reife verfügst."
Julia lachte ebenfalls, so echt wie sie konnte, konnte jedoch nicht verhindern, dass sie rot wurde und nickte daher nur stumm. Fiona schien es zum Glück nicht bemerkt zu haben oder äußerst geschickt zu ignorieren.
"Aber du fragtest wegen der ungewöhnlichen Proportionen, richtig?", redete die Künstlerin weiter und schien einen Moment zu überlegen "Nun, der Effekt beruht darauf, dass ich die Beine verkürzt habe. Lügen haben kurze Beine, heißt es und ich dachte, es wäre ein guter Weg, um ihre Persönlichkeit darzustellen. Ich hoffe, dass kommt einigermaßen rüber."
"Oh ja.", erwiderte Julia und versuchte ein Grinsen, "naja, vielleicht nicht ganz, aber ich versteh' auch nichts von Kunst."
Sie lachte, vielleicht eine Spur zu künstlich, auf, doch Fiona schien es wieder nicht zu bemerken oder zu stören und machte eine abwehrende Handbewegung.
"Selbst die meisten Künstler verstehen nichts von Kunst.", sagte sie und ein feines Lächeln spielte über ihre Lippen, "vielleicht sind es sogar die Künstler, die am wenigsten, davon verstehen."
"Ich glaub', mir fehlt einfach der Kontext.", lenkte Julia ein, "und ich bin ja auch nicht betroffen, obwohl ich bei so viel Geld auch Probleme hätte."
Sie grinste, jedoch mit einer Spur von Wehmut.
"Ich kann das Geld verschmerzen.", erwiderte Fiona mit einem Anflug von Bitternis in ihrer Stimme, "die menschliche Enttäuschung war größer."
"Hm, kann ich verstehen, trotzdem, das ist schon 'ne Menge Geld."
Es gab eine kurze Pause.
"Tut mir Leid.", sagte Fiona schließlich, als hätte sie eine große Dummheit begangen und schaute dann beinahe bedächtig zu der jüngeren, "ich vergesse immer, dass Geld für viele einen höheren Wert als für mich hat. Du kommst zurecht?"
"I-ich?", stotterte Julia verblüfft, ob der ziemlich indiskreten Frage und schwieg einen Moment, bevor sie weitersprach "ja, doch."
Sie wurde rot und schaute zu Boden.
"Das klang nicht sehr überzeugend.", sagte Fiona mitfühlend, "aber ich denke, wir sollten vielleicht das Thema wechseln. Ich bin manchmal wie ein Elefant im Porzellanladen."
Sie lachte unvermittelt auf und zeigte auf die Statue, in der Mitte des Raums. Julia musste schlucken und ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihrem Magen bemerkbar. Das Gesicht der Statue mit dem leicht geöffneten Mund, sah aus wie intensivster eingefrorener Schmerz. Kleine Stahlstifte schienen in die Zähne gebohrt zu sein und sie auseinanderzuhalten und Julia fühlte wie automatisch die Plombe in ihrem Mund schmerzen, die sie schon etwas länger plagte. Doch die Künstlerin war völlig ungerührt.
"Das ist meine Zahnärztin, als ich in Hannover lebte.", sagte sie, "Eine wahre Schlächterin, frisch von der Uni. Es war ihre erste Praxis und sie war mir von einer Freundin empfohlen worden. Eigentlich müsste meine Bekannte dafür jetzt auch hier stehen ..."
Fiona lachte über ihren Witz und auch Julia grinste ein wenig.
"Meine Eltern sind Zahnärzte.", sagte sie schließlich.
"Oh, ich hoffe, du nimmst mir das dann nicht übel."
"Nee, ich hab' ja auch totale Angst vor Zahnärzten, aber sie … äh, i-ich meine, du scheinst eine Menge Ärger mit anderen zu haben.", sagte Julia und grinste verlegen, "Sind die alle Leuten nachempfunden, die dich irgendwie reingelegt haben?"
Sie machte eine ausladende Geste mit der Hand und deutete auf die Skulpturen um sie herum.
Ein breites Grinsen zeigte sich auf Fionas Gesicht und sie schüttelte amüsiert den Kopf.
"Nein, nein, das nun wirklich nicht.", sagte sie lachend und es bildeten sich Grübchen auf ihren Wangen, "du musst einen schrecklichen Eindruck von mir haben. Ich wähle Menschen, die mich inspirieren und Emotionen in mir auslösen. Ich gebe zu, dass diese meistens negativer Natur sind. Es ist ein wenig wie in einem Film. Die wirklich interessanten Figuren sind eben meistens die Schurken und Antihelden. Aber ein Stück weit ist natürlich auch Verarbeitung dabei."
"Wenn es funktioniert.", warf Julia ein und zuckte mit den Schultern. Das ganze schien ihr etwas seltsam, aber irgendwie war es auch nichts anderes als die Bilder von seinem Exfreund zu zerreißen, wenn er einen betrogen hatte. Und Künstler waren ohnehin immer etwas spleenig.
"Das mit der Verarbeitung?", fragte Fiona nach.
"Hm.", nickte Julia zustimmend und zuckte beiläufig mit den Achseln.
Fiona lachte.
"Glaub' mir, es funktioniert hervorragend, aber wie gesagt, es sind nicht nur Skulpturen von Menschen, mit denen ich schlechte Erfahrungen gemacht habe. Die junge Frau dort vorn, mit den lasziv gespreizten Beinen, ist eine Verkäuferin, eine niedliche Schülerpraktikantin, die ich in einer Boutique traf und mich noch exzellent bediente, obwohl der Laden schon geschlossen war. Sie hat eine wunderbar erotische Ausstrahlung für einen Teenager, die ich unbedingt für immer einfangen wollte ..."
Fiona registrierte, dass Julia verlegen zu Boden schaute und ein feines Lächeln huschte über ihr Gesicht.
"Oh, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.", sagte sie und legte freundlich den Kopf schief.
"Nee, nee, schon ok, ich ...", gab Julia zurück und ärgerte sich, dass sie dabei errötete. Sie zuckte mit den Schultern und hörte mitten im Satz auf.
Fiona setzte ein warmes, beinah sinnliches Lächeln auf.
"Für mich ist das Auffangen und Bewahren der weiblichen Ausstrahlung das einzig lohnende Motiv. Ich nehme an, du siehst das etwas anders ..."
Wieder dieser Indiskretion, die Julia vorhin schon so unpassend gefunden hatte. Aber sie wollte angesichts Fionas Freundlichkeit nicht unhöflich erscheinen.
"Naja, irgendwie schon.", sagte sie und grinste etwas hilflos.
"Zu schade.", sagte Fiona und schaute Julia nachdenklich an, "du hast nämlich eine herrliche Ausstrahlung. Du hättest nicht zufällig Lust, Teil meiner Kollektion zu werden?"
Julia schluckte und brauchte eine Sekunde, um sich zu sammeln. Aber dann lachte sie kurz auf.
"Neee danke.", sagte sie und schüttelte mit einem Grinsen heftig den Kopf, "Nachher kommt noch einer und sieht mich hier."
Es war scherzhaft gemeint, aber Fiona nahm es anscheinend ernst.
"Es gibt auch einen nichtöffentlichen Teil. Er ist normalerweise für die erotischeren Werke von mir, Kunst, die leider nicht ausstellungsfähig ist, aber ich könnte ..."
"Erotisch?", fragte Julia ungläubig, "doch nicht etwa nackt?!"
"Kommt drauf an, doch."
"Das wär' nichts für mich."
"Sicher? Ich zahle gut ..."
Julia zögerte einen Moment und sie schämte sich sofort dafür. Aber die vielen Schulden zur Zeit ließen sie einfach länger darüber nachdenken, als sie es sonst getan hätte.
"Ich, i-ich, also nein, dass ist echt nicht mein Ding.", sagte sie, obwohl ein Funke ihres Verstandes ihr riet, wenigstens nach dem Preis zu fragen.
Auch Fiona hatte das Zögern der niedlichen Blonden registriert und schmunzelte.
"Ich sehe, ich muss dich noch überzeugen.", lachte sie und schaute Julia neckisch an, "wie viel müsste es sein?"
Julia zuckte mit den Schultern. Die Fragerei wurde ihr etwas unangenehm.
"Ne' Million.", sagte sie mit einem Anflug von Trotz in der Stimme und schaute Fiona in die Augen.
Aber diese lachte nur hell auf.
"Alle sagen sie immer eine Million. Nein Julia, was ist realistisch für dich?"
Julia gab ein leicht verächtliches Schniefen von sich und zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung.", sagte sie schließlich etwas mürrisch, "hunderttausend dann?"
"Hach Julia.", seufzte Fiona beinahe mitleidig auf, "das bekomme ich für eine ganze fertige Skulptur ohne Modifikation."
"Kann sein, da drunter würde ich's nicht machen."
"Für ein paar Stunden Modellsitzen?", fragte Fiona neckisch und grinste fröhlich.
Dieses Spiel schien ihr desto mehr Spaß zu machen, je mehr Julia sich in ihrer Argumentation verrannte.
"Hm."
Julia nickte. Sie ärgerte sich etwas über Fiona, die sie in diese abstrakte Diskussion verwickelte. Was interessierte diese Frau das überhaupt.
"Das ist ziemlich viel, selbst für meine Verhältnisse.", stellte Fiona fest, "nicht dass ich es nicht unter Umständen bereit wäre zu zahlen, aber da müsstest du mir schon für den Rest deines Lebens Modell sitzen."
"Vielleicht will ich es auch gar nicht."
"Du sagtest vielleicht."
"Ich bin mir sicher, dass ich es nicht will.", sagte Julia genervt und schaute nervös zu den mit den schwarzen Vorhängen versehenen Fenstern. Sie wäre am liebsten gegangen.
"Du bist dir sicher, dass du es nicht tun willst, aber du sagt auch, dass du es für hunderttausend tun würdest. Richtig?"
Julia ärgerte sich immer mehr über sich selbst, aber sie druckste eine Art zustimmendes Geräusch heraus.
"So in etwa."
"Ok, ich mach' dir einen Vorschlag.", entgegnete Fiona, "und ich bin bereit, dir 200 Euro sofort zu geben, nur damit du ihn dir anhörst und ernsthaft in Erwägung ziehst. Einverstanden?"
"200 Euro? Sofort?"
"Ja."
"Das ist doch viel zu viel."
Fiona lachte.
"Du bist herrlich", sagte sie, "Aber ich habe das Geld und dir gebe ich es doppelt gern."
Sie ging ohne auf eine Antwort zu warten, zu ihrem riesigen Schreibtisch, der in der Ecke des Saales stand. Julia zögerte für eine Sekunde und überlegte, was sie machen sollte. Doch dann gewannen Neugier und die Aussicht auf 200 Euro, und vielleicht viel mehr, die Oberhand. Wenn sie doch nur nicht das Geld so dringend brauchte. Sie folgte Fiona, die inzwischen um den Schreibtisch herumgegangen war und in einer der Schubladen wühlte.
"Setz dich, Julia.", sagte sie ohne aufzublicken und wedelte mit einem Arm kurz in Richtung des seltsam geformten Plastiksessels vor dem Tisch, "und zieh dir doch die Jacke aus. Es ist doch viel zu warm hier drinnen."
Sie fügte ein etwas energisches 'Bitte' hinzu, als die junge Studentin einen Moment zögerte. Julia wollte eigentlich stehen bleiben, aber trotz des freundlichen Duzens zwischen den beiden, blieb Fiona eine Respektsperson, der sie nicht unnötig widersprechen wollte. Sie streifte ihre schwarze Manteljacke ab und setzte sich auf den Sessel, der stellenweise seltsam weich war und sofort sachte zu schwingen begann.
"Huch.", entfuhr es ihr und für einen Moment überlegte sie, wieder aufzustehen, doch sie blieb sitzen.
"Ist auch ein Stück von mir. Ein Prototyp.", sagte Fiona während sie weiter in der Schublade wühlte, "ich designe auch Möbel, meistens für Kunden … aber sag' mal, nimmst du auch bar?"
"Hm, klar doch.", sagte Julia unsicher, die gerade versuchte eine bequeme Position auf dem seltsamen Sessel einzunehmen.
"Super.", sagte Fiona und kam um den Schreibtisch herum, und setzte sich auf die Tischkante direkt vor Julia, so dass ihr Schritt wie zufällig direkt in Julias Augenhöhe war.
Julias Unbehagen darüber ließ ihr ein kleines eletrisches Kribbeln durch den Schritt gehen und sie griff in ihre Jackentasche. Sie holte ein edles dunkles Lederportmonee hervor und nahm einen 200 Euroschein heraus.
"Hier.", sagte sie und reichte ihn mit ausgestrecktem Arm zu Julia herunter, die in dem tiefen Designsessel hockte.
"D-danke.", erwiderte Julia noch etwas ungläubig und steckte den Geldschein ein.
Die Frau war echt seltsam. Schade, dass Juliane nicht bei ihr war.
"Kein Problem, Hübsche.", sagte Fiona mit einem maliziösen Lächeln, "kommen wir zum Geschäft. Ok?"
Julia nickte.
"Ok, aber es gibt noch eine kleine Bedingung."
"Hm, welche?"
"Du darfst keinem was darüber sagen. Denn, wenn Künstler über potentielle Projekte sprechen, darf nichts darüber bekannt werden, bevor das Kunstwerk fertig ist, ok?"
"Hm, ja ok.", erwiderte Julia etwas verwundert und schaute fragend zu Fiona empor.
Sie war immer der Meinung gewesen, dass nur Maler ihre Werke nicht zeigten, bevor sie fertig waren. Aber wem hätte sie es auch sagen sollen. Die Sache war ohnehin etwas peinlich. Und so fiel es ihr leicht, einzuwilligen.
"Julia, du hast gesagt, dass du bereit wärst … "
"Hypothetisch."
"... ok, dass du – hypothetisch – bereit wärst, mir für einhunderttausend Euro Modell zu stehen, vorausgesetzt, dass das Kunstwerk nicht öffentlich wird. Richtig?"
"N-naja, ich ..."
"Ja oder Nein?"
"Ich weiß einfach nicht, ob ich ..."
"Julia, mal rein hypothetisch – wie du sagst – Ja oder Nein?"
"Hm, ok, für hunderttausend, Ja."
"Ok. Und ich hatte gesagt, dass hunderttausend ziemlich viel ist. Richtig?"
"Ja."
"Und dir ist klar, dass ein Nacktmodel wesentlich mehr kriegt, als ein Kleidermodel?"
"Ähm, ja?"
"Ich sag's nur.", sagte Fiona mit verschwörerischer Mine und lachte so ansteckend, dass Julia sich ein Grinsen erneut nicht verkneifen konnte.
"Ok, Spaß beiseite. Ich brauche Nacktmodels für meine andere nicht-öffentliche Ausstellung und auch eins für das freie Podest, also öffentlich, und ich wäre bereit, sagen wir mal, vielleicht nicht hunderttausend, aber doch eine ganze Menge zu zahlen ..."
"Tut mir Leid, aber das kann ich nicht.", unterbrach sie Julia leise und wollte bereits aufstehen.
"Schhh.", sagte Fiona und machte eine begütigende Geste, "warte doch erst mal ab. Ok?"
"Hm, ja."
Julia ließ sich wieder in den komischen Sessel zurücksinken, aber sie merkte, dass ihr Herz jetzt etwas schneller klopfte. Ihr gefiel die Richtung, in die sich das hier alles entwickelte überhaupt nicht, aber die Chance auf soviel Geld, kam wahrscheinlich nie wieder und sie hatte noch die Hälfte eines Kredits abzuzahlen, den ihr beschissener Ex-Freund aufgenommen und für den sie dummerweise mitgebürgt hatte. Sie verzog den Mund und begann mit den Backenzähnen auf der Haut auf der Innenseite ihrer Backe zu kauen. Sie hasste diese Angewohnheit und es passierte immer wenn sie nervös war. Genauso wie ihren Fuß, mit dem sie angefangen hatte, aufgeregt zu wippen.
Fiona redete weiter.
"Ich sag' dir jetzt mal die Honorare. Ich werde etwas drauflegen, weil ich dich mag und du bildhübsch bist, aber es sind keine hunderttausend. Hör's dir jedoch erstmal an. Ok?"
"Hm."
"Gut. Für ein Kleidermodel würde ich 8000 Euro zahlen, die Hälfte, wenn wir dein Gesicht unkenntlich machen. Für ein Nacktmodel 15000 Euro und wieder die Hälfte, wenn du nicht zu erkennen bist, also zum Beispiel eine Maske trägst. Darüber hinaus gibt’s noch erotisches modeln, mit bis zu 50000 Euro."
"Wow, 50000 Euro ist das höchste?"
"Ja, in etwa. Wieso? Bist du interessiert?", sagte Fiona und lächelte.
"Nee.", entfuhr es Julia entrüstet, "nur schon aus Interesse, aber nicht für mich, halt."
"Für jemand anderes?"
"Ich glaub' nicht, nein."
"Du weißt es aber nicht?"
"Ich meine, ich glaube nicht, dass ich jemand kenne, der so was machen würde."
"Erotisches modeln?"
"Hm."
"Sicher? Was ist mit deiner Freundin?"
"Wem?"
"Die sexy Dunkelblonde, mit der du vorhin hier warst? Sie schien mir ein bisschen verwegener als du."
"Jule?", fragte Julia nach, "ich glaube nicht, dass sie für so etwas zu haben ist."
"Glaubst du es oder weißt du es?"
Julia schnieft geräuschvoll durch die Nase.
"Ich nehme es eben an.", sagte Julia, kam sich wegen ihrer leichten Verärgerung jedoch etwas blöd vor, "wissen kann ich's natürlich nicht."
"Dann wäre es doch das beste, sie einfach zu fragen."
"Ich weiß nicht ..."
"Warum, ist es dir peinlich?"
Julia schluckte und man sah, dass es so war.
"Das braucht es nicht, Kleines.", sagte Fiona daher schnell und lächelte, "das ist etwas rein geschäftliches. Es gibt überhaupt keinen Grund, beschämt zu sein. Und ich würde ihr das gleiche anbieten wie dir. 200 Euro, nur wenn sie sich mein Angebot anhört. Hundert weitere, wenn sie es bis morgen schafft. Kannst du sie erreichen und ihr das sagen?"
"Ich denke schon.", murmelte Julia wenig überzeugt und verzog etwas den Mund, "Wir wohnen in einer WG."
Das ganze gefiel ihr nicht, aber Fiona wirkte andererseits ehrlich und offen und es war eine Menge Geld.
"Fantastisch.", strahlte Fiona, "aber wie sieht es nun mit dir aus?"
"Ich mach das nicht, auf gar kein- ..."
Fiona lachte hell auf schaute sie versöhnlich an.
"Nein, nein, Schatz, ich meinte doch gewöhnliches Modeln. 8000 Euro."
Julia biss die Zähne zusammen und legte den Kopf schief. Der Gedanke durchzuckte sie wie ein unangenehmer elektrischer Schlag, aber die Aussicht auf 8000 Euro war in ihrer Situation einfach nicht wegzudiskutieren.
"Was müsste man da machen?", sagte sie schließlich nach einen kurzen Pause vorsichtig, "Ich hab' keine Ahnung davon."
"Oh, eigentlich absolut gar nichts. Sei einfach ganz so wie du bist. Und halt still.", erwiderte Fiona mit einem tiefgründigen Lächeln, "Es ist mir viel lieber eine Anfängerin zu haben. Du ahnst ja gar nicht, wie zickig manche Models manchmal sein können. Wie sie schreien, toben, schimpfen, betteln und weinen, wenn ihnen etwas nicht passt ... furchtbar"
Fiona verdrehte mit gespieltem Entsetzen die Augen und schüttelte den Kopf, so dass Julia lachen musste.
"Keine Ahnung.", sagte sie und zuckte mit den Achseln, "aber wo würde ich, also die Plastik, dann stehen? Ich weiß nicht, ob ich will, dass man mich erkennt. Aber dass waren ja dann nur noch 4000 Euro, oder?"
Nur, dachte Julia so gleich und schüttelte unbewusst den Kopf. Das waren die Raten für ein Jahr, überlegte sie. Doch Fiona redete bereits weiter.
"Ja, ein Gesicht strahlt Persönlichkeit aus, sagte meine Mentorin immer und darum wird es auch so hoch bewertet. Und über den Ort kann ich noch nichts sagen, aber es könnte prinzipiell überall sein. Du solltest daher gut überlegen, bevor du dich entscheidest."
"Hm, verstehe.", sagte Julia etwas enttäuscht, "aber kann man denn nicht ein anderes Gesicht ..."
"Nein.", unterbrach sie Fiona jedoch sofort freundlich, aber bestimmt, "ein Gesicht und ein Körper gehören zusammen. Sie bilden eine ästhetische Einheit, die nie getrennt werden sollte, außer es gibt sehr gute Gründe dafür."
"Ok?"
Fiona lachte auf, als sie den irritieren Gesichtsausdruck des Mädchens sah.
"Keine Angst, das müssten schon sehr gute Gründe sein.", sagte sie und stand plötzlich auf, "Aber weißt du was? Ich würde dir gerne einfach mal das Atelier zeigen. Ganz formlos, was hältst du davon? Nicht jetzt, ich muss leider noch ein wichtiges Telefonat führen, aber gerne Morgen. Dann weißt du, was dich erwartet und ich gebe dir, sagen wir, zwei Wochen, dich zu entscheiden. Dann bin ich nämlich weg. In Ordnung?"
Julia zögerte einen Moment. Irgendwie erschien ihr das ganze sehr seltsam, doch Fiona wirkte so enthusiastisch und streckte freundlich die Hand aus, so dass die junge Studentin meinte keine Wahl zu haben.
"Na gut.", sagte sie mit einem hilflosen Schulterzucken und lächelte, "Warum nicht."
Sie atmete geräuschvoll aus und stand auf.
2. Entscheidungen
Julia fand Jule in der Küche, als sie nach Hause kam. Vorwurfsvoll starrte sie ihre ältere Mitbewohnerin an und stemmte die Arme in die Hüften.
"Ich dachte, du wolltest auf mich warten.", sagte sie ärgerlich, doch Jule grinste nur und stellte den Topf mit Basmatireis ab, den sie in der Hand gehalten hatte.
"Sorry Gigi", sagte sie und ging zum Herd, "Aber als ich da raus war, hat meine kleine Schwester angerufen, dass sie mich braucht. Scheißteenieprobleme, aber ich hab wirklich versucht, dich zu erreichen. Du bist nicht rangegangen."
"Ja! Weil mein Handy weg ist.", sagte Julia vorwurfsvoll und schaute zum Herd, den Jule jetzt anmachte.
"Etwa geklaut?", fragte diese und stellte den Topf auf den Herd.
"Weiß ich nicht.", sagte Julia, "aber wahrscheinlich ja."
"Scheiße Kleines, tut mir Leid, wo hast du's denn das letzte mal gesehen?"
Julia winkte ab.
"In der Galerie", sagte sie, "Jemand muss es mir da aus der Garderobe geklaut haben."
"Hattest du's im Rucksack?"
Es klang vorwurfsvoll und Julia funkelte sie an.
"Du doch auch immer."
"Ja, aber nur, wenn ich die enge Jeans anhab."
"Ja toll, meine schwarze Hose hat auch keine Taschen.
"Ok, is' ja gut, hast du diese Frau mal gefragt?"
"Ja, aber sie hat auch nichts gewusst und nur gemeint, dass das schon mal vorgekommen ist. Aber sie hat mir den Schaden ersetzt. Neuwert sogar."
Jule nickte verblüfft.
"Cool.", sagte sie dann anerkennend und lächelte, "Ist doch geil."
"Ja, schade nur, dass meine ganzen schönen Fotos weg sind.", sagte Julia mit leichtem Bedauern
Jule zuckte mit den Schultern.
"Nur dein beschissener Ex."
"Naja.", sagte Julia und räusperte sich verlegen, "Aber sie hat mir noch was für dich mitgegeben."
Sie holte einen Briefumschlag heraus.
"Wie lief's eigentlich?", fragte sie dabei.
Jule zuckte mit den Schultern.
"Erfahr' ich erst nächste Woche.", sagte sie und griff neugierig nach dem Umschlag, "Was ist das?"
Julia schaute kurz unsicher zur Seite, erzählte aber dann, was sich ereignet hatte. Jule hatte Schwierigkeiten es zu glauben, aber das Geld, dass ihre Freundin ihr zeigte, war echt und auch der Brief von Fiona bestätigte ihre Angaben.
"Krass.", sagte Jule schließlich, "Und diese Irre will mich da in ihrer Freakshow haben?"
Sie grinste, während Julia nur die Augen verdrehte.
"Jein", sagte sie, "Sie will morgen mit dir drüber reden. Steht doch da."
Sie zeigte auf den Brief in Jules Hand, die diesen jetzt wieder hochhob.
"Ich würde sehr gerne ein Geschäftsgespräch mit ihnen führen.", las Jule ab und zuckte mit den Schultern, "Zwanzig Uhr."
"Siehst du.", sagte Julia, "Sie wird dir vermutlich das gleiche erzählen wie mir."
Jule schaute irritiert aus dem Fenster.
"Ich hab keinen Bock auf so eine perverse Scheiße Gigi.", sagte sie und diesmal klang sie erstaunlich ernst.
Ihre Kumpels bezeichneten sie als jemand, mit dem man Pferde stehlen konnte, aber das hier war etwas anderes.
"Dann sag ihr das.", sagte Julia jedoch nur, "Aber 300 Euro sind 300 Euro. Die kriegst du ja auf jeden Fall und lange kann's ja nicht dauern. Sie will mir schon zwanzig Minuten später ihr Atelier zeigen."
Jule schob ihre Zweifel beiseite und setzte ein gruseliges Gesicht auf.
"Huhuuuhuuu", machte sie und lachte, "klingt als ob dieses blasse Weißbrötchen was von dir will."
"Quatsch.", sagte Julie ärgerlich, "sie ist viel lockerer, als man erst denkt. Im übrigen sagt sie, dass sie dich sexy findet."
Sie streckte ihrer Freundin die Zunge heraus und lachte.
"Was?", entfuhr es Jule und sie lachte ebenfalls, "Echt?!"
Sie wusste nicht, was sie davon halten sollten, aber 300 Euro für ein unverbindliches Gespräch klangen zu verlockend. Julia zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht hat sie's auch nur so gesagt.", grinste sie und Jule begann zu schmollen.
"Oahhh!", sagte sie mit gespielter Wut, "Ich bin also nicht hübsch?"
Sie griff nach dem Küchenhandtuch und schlug damit auf Julias hübschen Apfelpo, die lachend aus der Küche rannte.
3. Jule
Sie hatte nicht herkommen wollen. Selbst für 300 Euro nicht. Aber letztlich hatte sich Jule von Julia überreden lassen, die sich nicht zu der Studiobesichtigung hintraute, wenn sie den Termin einfach so ausgeschlagen hätte. Es war bescheuert und sie hatte ihr gesagt, dann doch einfach nicht hinzugehen, aber Julia hatte immer nur wieder gesagt, dass sie es leider versprochen hatte und so lange gequengelt, bis Jule eingewilligt hatte. Es war unfassbar, wie schüchtern Julia mit 24 Jahren noch war, dachte sie und seufzte auf. Sie fühlte sich gerade selbst nicht besonders wohl.
Sie blickte noch einmal zurück zum Treppenhaus des alten, um diese Zeit wie ausgestorbenen, Theatergebäudes, in dem Fiona DiSteffano ihre Ausstellung untergebracht hatte. Sie zuckte mit den Schultern und trat dann durch die schwere Holztür hinein in den Ausstellungssaal. Obwohl es draußen schon etwas dunkel war, war zu ihrer Verwunderung nur eine Lampe an und die bizarren Skulpturen wirkten durch die tiefen Schatten noch unheimlicher. Geradezu schmerzverzerrt wirkten die stummen alabasterfarbenen Gesichter und ein unheimliches Gefühl machte sich in ihr breit. Jule schüttelte sich etwas und blickte weiter, brauchte aber einen Moment, um die Frau zu erkennen. Sie saß mit ihrem bescheuerten Fedorahut wieder in der Ecke mit den komischen Stühlen und winkte ihr herüberzukommen.
Jule war sich auf einmal sehr bewusst, wie absurd die Situation war und lächelte unsicher. Auch wenn sie sonst sehr selbstbewusst war, dass hier war einfach nicht ihr Ding, wie Julia gesagt hätte und sie ging langsam auf die rothaarige Frau zu.
"Hallo.", sagte sie etwas leiser, als es normalerweise ihre Art war und schaute erwartungsvoll auf den leeren Stuhl vor ihr, "ich bin Jule, also Juliane Bernhardt. S-sie wollten mich sprechen?"
Sie verkniff den Mund zu einem hilflosen Lächeln und zuckte mit den Schultern. Fiona machte jedoch keine Anstalten, ihr den Platz anzubieten und musterte die junge Frau in der blauen Jeans und dem roten Sweater vor ihr stattdessen intensiv. Die Studentin war keine herausragende Schönheit, aber mit ihrer sportlich-schlanken Figur und einem markanten Gesicht, in dem meerblaue Augen energisch leuchteten, sehr attraktiv. Die Sommersprossen und die Stupsnase gaben einen niedlichen Kontrast, doch Jule strahlte trotz einer momentanen gewissen Unsicherheit Selbstbewusstsein und Willensstärke aus und Fiona genoss es, die attraktive Studentin so vor sich stehen zu sehen. Tausende Dinge fielen ihr ein ...
"Setz' dich doch.", sagte sie jedoch schließlich gönnerhaft und lachte wie gedankenverloren, "tut mir Leid, aber ich bin zu sehr Künstlerin. Immer auf der Suche nach dem perfekten Motiv."
Sie machte eine einladende Geste und Juliane setzte sich, während die Frau sich kurz vorstellte und ihr das Du anbot. Jule lächelte pflichtschuldigst.
"Ok.", sagte sie und zuckte mit den Schultern, "Ich … "
"Du fragst dich sicher, was das Ganze hier soll, oder?"
"Naja, irgendwie ..."
"Julia hat es dir erzählt?"
"Nein, nicht wirklich.", log Juliane, "Sie sagte nur, dass ..."
"... ich dir 300 Euro zahle, nur damit du dir mein Angebot anhörst. Richtig?"
Juliane nickte unsicher und zuckte erneut mit den Schultern.
Fiona sah, dass die Studentin etwas verlegen wirkte und lachte hell auf.
"Kein Grund sich zu schämen.", sagte sie und lächelte tiefgründig, "Deine ungeteilte Aufmerksamkeit ist mir jeden Cent davon wert."
Juliane nickte nochmals und schaute einfach erwartungsvoll. Sie wollte das ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen und hatte nicht mehr als zehn Minuten eingeplant. Einfach rein, die 300 Euro einstreichen und wieder raus. Danach würde sie sich unten in das leere Foyer des Hauses setzen und darauf warten, dass Julia ihre Tour hinter sich brachte, die sie sich aufgehaltst hatte.
"Ok.", sagte sie, "Was sollen sie mir sagen?"
Sie kannte natürlich die Summen. Julia hatte ihr trotz Fionas Verbot alles gesagt, doch vielleicht war ja noch etwas anderes.
"Natürlich.", sagte die Rothaarige und stand auf, "aber willst du dir nicht erst einmal die Jacke ausziehen? Und den Rucksack ablegen."
Sie zeigte auf die Garderobe am Eingang und Julia nickte.
"Ich hab Angst, dass was geklaut wird.", versuchte sie eine Ausflucht, doch die Frau lachte nur.
"Du meinst wegen Julias Handy.", sagte sie und nickte ebenfalls, "Das war ein bedauerlicher Einzelfall und der Täter wurde bereits über die Videokameras identifiziert, aber du brauchst keine Angst zu haben. Heute ist Ruhetag und die Türen zu."
Jule blickte irritiert zurück zum Eingang.
"Aber ...", sagte sie und blickte zurück zu der Galeristin, die auf einen Schalter auf ihrem Schreibtisch zeigte.
"Ich habe aufgemacht.", sagte sie und zeigte erneut zu den Holzkästen der Garderobe, "bitte."
Julia nickte. Sie wusste, dass sie keine wirkliche Ausrede hatte und legte den Rucksack und ihre Jacke ab. Sie hatte dabei das Gefühl, dass Fiona DiSteffano sie anstarrte, doch als sie herumfuhr, stand die Frau mit dem Rücken zu ihr an einer schmalen Tür in der Wand.
"Komm.", rief sie zu Jule herüber, "Wir gehen in mein Büro."
Die junge Frau wollte nicht wirklich, aber die Künstlerin hatte bereits die Tür geöffnet und nickte. Jule hatte dabei gedacht, dass das Büro gleich um die Ecke lag, aber sie gingen über mehrere schmale verwinkelte Treppen, die mindestens über ein Stockwerk führten, bis sie in einem kleinen penibel aufgeräumten Büro mit einem riesigen anatomischen Poster auf der einen Seite und einem Fabrikfenster mit Blick auf einen schäbigen und wie toten Hinterhof ankamen.
"Ordnung ist das halbe Leben.", lachte DiSteffano und zeigte auf einen einfachen Holzstuhl, "Setz dich."
Sie selbst ging zu einem Schrank und holte ein Flasche Wein und ein Glas hervor.
"Auch eins?", fragte sie, doch Jule schüttelte nur den Kopf.
"Danke."
"Bist du sicher?", fragte die Frau und goss sich etwas ein, "Man weiß nie, wann man so etwas Gutes in seinem Leben noch mal bekommt."
"Nein danke. Ich muss noch fahren."
"Oh.", sagte DiSteffano und nahm eine Schluck, "Ich hoffe nicht zu weit weg, denn ich würde dir wirklich gerne ein Angebot machen."
"Nur nach Schwerin.", sagte Jule schnell, "meine kleine Schwester besuchen."
"Hm.", machte DiSteffano und es klang kritisch, dass Jule sich zu einer Erklärung bemüßigt fühlte.
"Sie kommt nicht so zurecht mit der Schule.", sagte sie zögerlich.
"Ah ja, wie alt ist sie?"
"Vier- vierzehn ...", druckste Jule.
Sie wollte es eigentlich nicht preisgeben, aber jetzt war es heraus. Die Frau nickte jedoch nur abwesend.
"Schwieriges Alter. Großes Potential, aber schwierig ... Aber kommen wir dann lieber zur Sache. Ich habe ein Projekt, 'Cycle Of Emotions' und dazu würde ich dich gerne als erotisches Model benutzen. Ich will, dass du dein Gesicht zeigst und ich zahle 50000."
Jule schluckte. Sie war auf ein paar Merkwürdigkeiten gefasst gewesen, doch dass DiSteffano es so unverblümt sagen würde, hatte sie nicht erwartet.
"Das ist eine Menge Geld.", druckste sie, "Aber das ist mir zu krass. Ich ..."
"Wieso?"
Jule lachte unsicher.
"Naja das ist etwas persönliches und ich weiß nicht, ob ich will, dass andere mich so sehen."
"Ich könnte dir versprechen, dass niemand dich jemals sehen wird", lachte Fiona DiSteffano, während Jule sie nur verwirrt anschaute.
"Wo ist dann der Punkt?"
"Gute Frage.", sagte Fiona, "Aber ich würde es sehen. Würde mit dir arbeiten. Das ist erfüllend in sich selbst. Und es ist ein lange geplantes Projekt und als ich dich sah, wusste ich, dass du perfekt bist."
Jule nickte schwach, obwohl sich alles in ihr sträubte. Aber es war einfach zu viel Geld, um nicht zu fragen. Und niemand würde es sehen.
"U-und dieses Projekt heißt Cycle of ...?"
"... emotions. Ja, und ich kann dir nicht zu viel sagen.", sagte sie und lächelte, "Künstlergeheimnis, aber ich will alle Grundemotionen in ihrer äußersten Intensität facettenhaft in einer Plastik, einem Gesicht, einem Körper, einer Pose vereinen. Nur jemand mit so einem ausdrucksfähigen und, entschuldige, wenn ich es sage, schönen Gesicht und einem trainierten Körper, wie deinem, kann so etwas."
Jule schluckte.
"Hm, finden sie sonst keine ... Models?"
"Oh sicher.", sagte die Galeristin, "Aber so wie ich euch gefunden habe, ist genau die Art, wie ich meine Kunst finden will. Kunst muss spontan sein. Oder sie ist nicht lebendig, nicht kreativ."
"Und ich bin das?", fragte Jule und dachte an die unheimlichen, beinah gequält wirkenden, Plastiken unten in der Ausstellung.
"Das weiß ich nicht Jule.", sagte die Frau nachdenklich und knipste eine Schreibtischlampe an, "Aber wir werden es im Verlauf des Prozesses der Arbeit mit dir entdecken."
Sie hörte sich an, als ob sie bereits zugestimmt hätte, dachte Jule leicht verärgert und schüttelte den Kopf, als sie im Licht plötzlich einen riesigen blauen Fleck auf der Wange der Frau sah.
"Nichts besonderes.", sagte Fiona, die Jules Blick bemerkte, "ich leide unter Hämophilie. Ein Gendefekt, bei dem die Blutgerinnung gestört ist. Und manchmal kommt es zu schweren Spontanblutungen, wie dieser."
"Hm, tut mir Leid."
"Nicht nötig, aber was denkst du über mein Angebot?"
"Hm.", druckste die Studentin, "Ich dachte, es gibt auch normales Modeln, also nicht erotisch."
Fiona schüttelte bedauernd den Kopf.
"Bedauerlicherweise geht das nicht in deinem Fall.", sagte sie und starrte scheinbar gedankenverloren aus dem Fenster, "Du hast eine natürlich erotische Ausstrahlung, die nur auf eine Art präsentiert werden kann. Werden darf."
Jule hielt das Ganze für Blödsinn, wurde jedoch verlegen und musste grinsen.
"Was soll ich da eigentlich machen?"
Fiona blickte zu ihr zurück.
"Gar nichts.", sagte sie.
"Nichts?"
"Nichts, außer deine Ausstrahlung zu präsentieren.", sagte Fiona, nickte dann jedoch, "Die Arbeit mache ich. Aber du meinst sicherlich die Vorbereitungsphase. Nun diese kann recht fordernd sein, aber ich würde dich nicht ausgewählt haben, wenn ich nicht wüsste, dass du es nicht aushalten könntest."
Jule verstand nicht ganz und Fiona lächelte amüsiert.
"Der Mensch durchlebt nichts, wozu er nicht gemacht wurde.", sagte sie.
"Da bin ich mir nicht so sicher.", sagte Jule, "Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass jemand eine ... erotische Plastik mit meinem Gesicht sieht."
Fiona lachte.
"Es gibt so vieles, was wir uns nicht vorstellen können.", sagte sie, "Und wie ich schon sagte, ich könnte dir garantieren, dass niemand dein Gesicht zu sehen bekommt. Außer mir natürlich."
Sie lachte und Jule seufzte leise auf. Sie war nur wegen Julia hierhergekommen, und wegen der 300 Euro natürlich, aber jetzt hatte sie diese mysteriöse Frau schon beinah dabei, ihr ihre Zustimmung zu geben. Es war so absurd, aber auch so viel Geld. Sie verdiente in drei Jahren nicht soviel und sie hätte auch Julia helfen können.
"Und wenn doch.", sagte sie daher, "Ich will einfach nicht, dass jemand mich erkennt."
"Aber das würde man nicht.", sagte Fiona, "ich würde tiefgreifende Veränderungen vornehmen. Veränderungen, die du nicht einmal für möglich hältst."
Es klang etwas irre und Jule spürte, wie es ihr fröstelte.
"Tut mir Leid, wenn mach ich's nur ohne Gesicht. Ich verstehe nicht, warum das so wichtig ist."
"Aber der Gesichtsausdruck ist das wichtigste. Stell dir vor, deine Plastik würde teilnahmslos hinschauen. Das wäre unecht. Sie würde keinen Appeal mehr haben. Ich aber möchte Emotionalität verbreiten. Man muss an den Augen, deinen Augen, sehen, was dich antreibt. Deine Wünsche, deine Ängste, alles muss erkennbar sein und das bin ich dir auch schuldig, denn nur wer mit seinen Emotionen im reinen ist, sieht gut aus."
"Ich ..."
Die Frau ließ Jule nicht ausreden und es klang immer bizarrer.
"Du hast so ein wunderbar ausdrucksstarkes Gesicht. Fähig zu intensivesten Emotionen. Angst, Liebe, Schrecken, Sehnsucht, Unterwerfung, Befriedigung, Schmerz, Freude. Diese Gefühle herauszuarbeiten ist mein höchster Anspruch."
"Schön.", sagte Jule leise, "Aber das klingt nicht einfach."
"Nein.", sagte Fiona, "Das ist es nicht und man muss kreativ sein. Wusstest du, dass ich mit manchen meiner Modelle schlafe?"
Sie lachte auf, doch Jule wurde schlecht und schluckte.
"Was?!"
Fiona lachte noch mehr.
"Ja, doch, es geht um Emotionen und echte Emotionen, zumindest manche, lassen sich nur hervorbringen, in einem rohen losgelösten Urzustand, sexueller wilder Extase, sozusagen."
"Schön.", druckste Jule unangehm berührt über diese Offenbarung, "Aber für mich wäre das nichts."
Fiona nickte.
"Schade.", sagte sie und starrte Jule mit ihren katzengrünen Augen jetzt beinah hypnotisch an, "Ich würde gerne mit dir schlafen."
Sie schwieg einen Moment und Jule wurde noch unangenehmer im Magen.
"Ich ..."
"Du hast ein wunderbares Charaktergesicht.", fuhr Fiona fort, "Fähig zu tiefgründigsten Emotionen, von denen du nicht ahnst, dass sie existieren. Es wäre mir eine Ehre, sie dir zu zeigen."
Jule ächzte leise auf.
"Ich steh nicht auf Frauen.", sagte sie nervös und mit einem leichten Beben in der Stimme.
DiSteffano lachte.
"Aber nicht doch.", sagte sie, "Ich bin auch nicht lesbisch, aber hier geht es um Kunst und um Lust. Um Lust als Mittel. Für viele meiner Modelle ist es schockierend, zu spüren, wie eine Frau, durchaus auch fordernd, in sie eindringt, sie an ihre Grenzen bringt, auch darüber hinaus; es wäre schlimm, wenn es anders wäre; aber es ist ein Prozess, den sie zu akzeptieren lernen. Ein wunderbarer reinigender schaffender Prozess, der als einziger wahre Resultate zeigt."
Sie redete noch weiter, aber Jule hatte genug von dem irren Gerede. Sie bereute, dass sie hierhergekommen war und ruschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
"Hören sie.", versuchte sie schließlich rhethorisch Distanz zu schaffen, "Wenn ich mir die Figuren da unten anschaue, dann sehe ich dort kaum etwas von Liebe und Sehnsucht ..."
"Aber sicher doch Jule. Sie sind voller Sehnsucht. Nach Liebe! Glaub mir, sieh in ihre Gesichter und du siehst es."
"Nein!", platzte es aus Jule heraus, "Diese Plastiken sind voller Schmerz und Entsetzen. Ich versteh nicht, wie jemand sich so abbilden lassen kann. Es geht ihnen doch nur um den Schockeffekt."
"Jule, nein. Ich arbeite nicht, um zu schocken, sondern damit das Kunstwerk besser gefällt. Dass der Betrachter darauf zugeht, dass er neugierig wird. Aus jeder Perspektive muss es gut aussehen, muss es Überraschungen geben, so dass ich die Neugier der Menschen befriedige."
"Ja vielleicht.", sagte Jule und blickte auf eine Uhr an der Wand, "Aber tut mir Leid, ich will jetzt gehen."
Ihre Wangen glühten.Sie stand auf und blickte zur Tür. Sie war wütend, dass sie ihre Zeit verschwendet hatte und wollte weg. Keine 50000, auch eine Million würden sie hier nicht halten. Sie war bereits länger hier als sie gedacht hatte und jederzeit musste Julia kommen. Wenn sie sie unten abpasste, konnte sie sie gleich mit nach Hause nehmen und am liebsten hätte sie sie angerufen und ihr gesagt, draußen zu bleiben. Fiona war abgehobener und schlimmer als sie gedacht hatte und auch die 300 Euro waren ihr jetzt egal. Doch der instinktive Griff zu den Taschen ihrer Jeanshose, sagte ihr, dass ihr Handy in ihrer Tasche in der Garderobe des Ausstellungsraums war.
So eine Mist, dachte sie, ließ sich jedoch nichts anmerken.
"Na gut.", sagte Fiona derweil mit bedauerndem Unterton und nahm eine kleine Karte von ihrem Tisch, "Schade, dass du dich nicht überwinden konntest, aber falls du es dir überlegst, wäre ich froh, wenn du dich bei mir meldest. Ok?"
Sie nahm einen Stift und schrieb einige Worte auf die Karte und reichte sie zu Juliane herüber, die einen kurzen Blick darauf warf. Es war eine schwarzglänzende Visitenkarte und sie sah, dass Fiona 'Bis bald' darauf gekritzelt hatte.
Juliane nickte, obwohl sie sich sicher war, hierhin nie wieder zurückzukehren, und steckte die Karte in ihre Hosentasche.
"Danke, ich denk' drüber nach.", log sie.
"Würde mich freuen.", erwiderte Fiona lächelnd und schien für eine Sekunde nachzudenken, bevor sie weitersprach und auf eine kaum erkennbare zweite Tür hinter sich deutete, "du kannst den Ausgang hier nehmen. Es ist der alte Personalschacht. Er ist kürzer und führt direkt in den Ausstellungsraum. Leider geht er nur in die Richtung. Die Schlüssel sind leider weg."
Sie zog die erstaunlich massive und innen mit dickem Schaumstoff beklebte Tür auf. Offenbar von den Bühnentechnikern als Lärmschutz bei Theatervorführungen, dachte Jule.
"Ok, ich hol' nur meine Sachen aus der Box.", sagte sie und ging los.
Sie sah jetzt, dass es ein dunkler sehr hoher und schmaler Gang war, dessen Wände ebenfalls mit dicker schwarzer Stofftapete beklebt zu sein schienen. Hinten wurde er immer schwärzer, so dass Jule vor dem Eingang noch einmal stehen blieb.
"Wo ist der Lichtschalter?", fragte sie, doch Fiona bedeutete ihr nur weiterzugehen.
Der Gang war noch schmaler, als er aussah und sie spürte ihre Schultern, die Wände berühren.
"Rechts.", sagte Fiona, "ein paar Meter voraus. Tut mir Leid, normalerweise brennt dort ein Notlicht, aber ich hol' dir eine Taschenlampe."
Sie ging zu dem Schreibtisch, als dort ein Summer zu hören war.
"Das muss Julia sein.", sagte Fiona und drückte lächelnd einen elektronischen Türöffner, "Warte Jule, die Lampe ...."
Doch diese war bereits in den Gang hineingegangen. Sie wollte nicht warten. Sie wollte DiSteffano zuvorkommen und Julia gleich wieder mit hinaus nehmen, bevor sich ihre wenig selbstbewusste Freundin von dieser verrückten Freakkünstlerin bequatschen ließ.
"Sagen sie mir einfach, wo lang.", rief sie zurück und versuchte den Lichtschalter zu finden.
Rechts, ein paar Meter voraus, hatte die Frau gesagt, doch anscheinend waren es mehr als ein paar Meter.
"Geh geradeaus und dann rechts.", rief DiSteffano, "dann einfach drücken und schon bist du in der Ausstellung. Aber ich komme gleich."
"Ok.", sagte Juliane leise und hoffte, dass sie blieb wo sie war.
Diese Frau war wirklich ein Freak, aber bald würde sie hier raus sein, dachte sie und grinste leicht, als sie plötzlich merkte, dass es dunkler wurde.
"Hehh!", rief sie zurück und sah, dass hinter ihr Tür zufiel, "Warten sie!"
Sie sah auch, dass DiSteffano das Büro in diesem Moment durch die andere Tür verließ und versuchte sich hastig in dem engen Gang umzudrehen und zurück zur Tür zu kommen.
Aber der Gang war zu eng und es gelang ihr nicht Geschwindigkeit aufzunehmen und sie musste hilflos mitansehen, wie die Tür mit einem Klicken zuschlug. Es war ein furchtbares, endgültiges Geräusch und eine schlimme Vorahnung erfüllte sie.
Scheiße, dachte sie und warf sich gegen die Tür, dass es schmerzte. Doch die Tür bewegte sich nicht einen Millimeter. Es war stockdunkel und Jule hörte nicht das kleinste Geräusch außer ihrem jetzt hektischer gehenden Atem.
"Hallo!", rief sie, "Fiona!! Die Tür ist zugefallen!"
Hastig fuhr sie mit ihren Fingern über die Tür, aber dort war nichts. Kein Schloß, keine Klinke, nichts. Immer hektischer fuhr sie über den dicken Stoff, der noch viel härter und zäher war, als er gewirkt hatte. Wütend trat sie dagegen. Beim Volleyball war sie viel gerannt und hatte kräftige trainierte Beine, aber die Tür blieb felsenfest an ihrem Ort. Man hörte nicht einmal ein Geräusch, als sie gegen den dicken Schaumstoff trat und boxte. Es war sinnlos und Jule spürte Schweiß über ihre Stirn laufen.
Sie begriff nicht, warum diese dumme Künstlerfotze gerade jetzt abgehauen war und griff nervös zu ihrer Hose. Sie fühlte Jeansstoff und stöhnte frustrierte auf. Wieder fiel ihr ein, dass ihr Handy in ihrer Tasche in der Garderobe war und sie begriff, dass sie diesen beschissenen Lichtschalter finden musste. Aber sie fand ihn einfach nicht und mit aufkommender Wut tastete sie sich durch den Gang. Diese dumme Kuh hatte nicht den Eindruck erweckt, dass es weit war und tatsächlich fühlte sie nach einigen Metern, dass der Gang zu Ende war und rechts eine Einbuchtung. Eine Tür, dachte Jule erleichtert, wurde jedoch gleich wieder enttäuscht. Die Einbuchtung war viel zu schmal und niedrig. Höchstens einen halben Meter hoch und eben so breit, schätzte sie und auch hier war weder eine Klinke oder irgendein Griff. Nur harte Plastikbeschichtung mit diesem zähen Stoffbezug. Sie verstand einfach nicht, was das sollte, als ein verstörender Gedanke sie plötzlich überfiel. Die unheimlichen Skulpturen mit den gepeinigten Gesichtern irgendwo da unten fielen ihr wieder ein und sie merkte, wie ihr ein kalter Schauer den Nacken herablief.
DiSteffano musste doch gewusst haben, dass es hier nicht rausging und auch ihre ganzen scheinbar so harmlosen Äußerungen fielen Jule wieder ein. Ein dumpfes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle und sie begann erneut gegen die Tür zu treten und schließlich zu schreien.
4. Julia
Die junge Studentin blickte nervös durch den leeren Ausstellungsraum. Nur ein schwaches Deckenlicht brannte und links kam etwas Licht von der Glasvitrinie. Ansonsten war niemand zu sehen und sie ging langsam herüber. Sie hatte gehofft, Jule zu treffen, doch sie schien schon weg oder irgendwo mit Frau DiSteffano zu sein. Sie erinnerte sich an den genervten Gesichtsausdruck, als Jule losgegangen war und ein schlechtes Gewissen überkam sie, dass es extra wegen ihr gewesen war. Bei ihrem nächsten Mädelsabend würde sie Jule einen ausgeben müssen, dachte sie voller Selbstvorwürfe und schlenderte zu der Vitrine.
Sie hatte auch nicht mehr wirklich hierhergewollt, aber das Geld war einfach zu verlockend. Ihr Blick fiel auf eine Kette aus kleinen weißlichen tropfenförmigen, teils am Ende gabelförmigen, Objekten, die matt im Licht schillerten. Kleine Muster erkannte man darauf.
"Die Tränen der Engel.", hörte sie eine Stimme hinter sich und fuhr erschrocken herum und fasste sich an die Brust.
"Haben sie mich erschrocken!", sagte Julia und lachte unbeholfen, als sie den riesigen blutunterlaufenen Fleck auf Fionas Wange sah.
"Tut mir Leid.", sagte die Frau unterdessen lächelnd, "Aber du warst sehr versunken in meine Kollektion. Gefällt dir die Kette?"
Julia nickte.
"Ich glaub schon.", sagte sie und spürte immer noch, wie ihr Herz klopfte, "Tränen der Engel haben sie gesagt?"
"Ja.", sagte Fiona nachdenklich, "Weil mich ein Engel dazu inspiriert hat. Ein Engel mit einem unglaublich traurigen Gesicht. Aber duzen wir uns nichts mehr?"
"Ah klar, Entschuldigung, ich war nur etwas verwirrt, aber ist Jule noch da?"
"Nein. Du musst sie gerade verpasst haben."
"Ok.", sagte Julia irritiert und für einen Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte, blickte dann aber zu der Kette, "Woraus ist das gemacht? Es sieht ein bisschen aus wie Perlmutt."
Sie zuckte mit den Schultern, doch in Wahrheit ärgerte sie sich über Jule.
"So ähnlich.", sagte Fiona unterdessen und schob die Vitrine auf, "Es ist Dentin. Ein sehr hartes Material aus Calcium und Phosphat, mit etwas Eiweiß und Wasser."
Sie nahm die Kette und hielt sie Julia hin.
"Ok?", sagte die junge Frau und lachte verlegen, "Ich war schon immer eine Niete in so was, aber es glänzt hübsch."
"Das kommt von der Beschichtung aus Enamelum. Genauer gesagt Hydroxylapatit, einem der härtesten Materialien der Welt.", sagte sie und zeigte auf eines der Kettenglieder, "Allein an diesem kleinen Stück zum Beispiel könnte man einen Menschen aufhängen. Aber hier, nimm sie ruhig."
"Superleicht.", sagte Julia erstaunt und hob die Kette hoch
"Ja. Die 32 Schmuckstücke da wiegen nicht mehr als 30 Gramm."
"Hm. Wo findet man das?"
Fiona lächelte.
"Eigentlich überall.", sagte sie, "Du kannst sie dir übrigens gerne mal anhalten."
Julia wollte nicht wirklich, hielt die Kette dann aber etwas linkisch an ihren Hals.
"Sehr schön.", sagte Fiona, "Schau in die Vitrine. Du spiegelst dich im Licht."
Julia drehte sich zur Seite.
"Hübsch.", sagte sie und Fiona nickte amüsiert.
"Lächeln.", sagte sie auffordernd und lachte, dass man ihre weißen Zähne sah.
Julia grinste ebenfalls übertrieben in die spiegelnde Vitrine und gab der Frau dann die Kette zurück.
"Und das gibts echt überall?", sagte sie, "Ich hab noch nie davon gehört."
Fiona zuckte nur mit den Schultern.
"Doch es ist sehr häufig, aber wie gesagt sehr hart und nur schwer zu bearbeiten. Das Werkstück muss sehr gut eingespannt werden. Aber manchmal zersplittert es trotzdem. Besonders wenn man graviert."
Sie seufzte mit einem theatralischen Grinsen auf und Julia nickte pflichtschuldigst.
"Sie meinen die kleinen Muster da haben sie gemacht?"
"Ja.", sagte Fiona, "Ich brauchte etwa acht Wochen dafür."
"Dann solltest du vielleicht etwas anderes nehmen, was schneller geht."
"Oh nein.", sagte Fiona und lachte hell, "Auf gar keinen Fall. Es ist wunderbar mit diesem Material zu arbeiten. Es ist so lebendig und ausdrucksstark. Das schöne ist, dass es sich mithilfe sogenannter Adamantoblasten selbst repariert und so auch nach intensiver Bearbeitung für einen schönen Überzug sorgt. Aber ich merke, dass dir meine Kette gefällt. Wenn du willst, kann ich dir gerne eine anfertigen."
Julia schüttelte heftig den Kopf.
"Nein bloß keine Umstände, dass ist doch bestimmt viel zu teuer."
Sie dachte an das Material für die Statuen, dass angeblich 3000 Euro pro Kilo kostete.
"Ganz im Gegenteil.", sagte Fiona jedoch, "Hydroxylapatit ist geradezu unverschämt günstig. Es wäre kein Problem und ich würde dir auch zeigen, wie ich vorgehe."
Sie schaute verführerisch und Julia wurde verlegen.
"Wir können ja noch mal drüber reden.", sagte sie, "Aber sie wollten mir ihr Atelier zeigen. Wegen dieser Sache ..."
Fiona nickte.
"Aber natürlich.", sagte sie und legte die Kette zurück und ging dann mit Julia zu der Tür am Ende des Ausstellungssaals.
Sie öffnete sie und man sah eine Treppe, doch Fiona zeigte nur zu einer weiteren Tür.
"Da lang."
Sie gingen durch mehrere verwinkelte Gänge, die mit Gerümpel vollgestellt waren und Julia wunderte sich, wo das Atelier war. Sie fragte, doch Fiona lachte nur.
"Die Städte sind durchgentrifiziert.", sagte sie, "Selbst mit viel Geld sind gute Stätten kaum zu bekommen. Da muss man nehmen, was man kriegt. Aber immer noch besser, als in einem Geheimlabor hinter einem falschen Schrank zu arbeiten, wie Gunter von Hagens."
Sie grinste und schließlich kamen sie an eine große doppelte Stahltür. Fiona holte einen Schlüssel hervor und sperrte auf.
"Willkommen in meiner Puppenstube.", sagte sie mit einer Portion von Stolz in der Stimme, "Mein Atelier."
Julia schluckte. Der Raum war ziemlich groß und hatte mehr etwas von einem Depot, als einem Atelier. Dutzende mannshohe und silbern glänzende Stahl- und Glaszylinder säumten die Wände, dahinter eine Anzahl von glänzenden Gummipuppen, die Crashtestdummies gleich, an einem komplizierten Aufhängungssystem von der Decke herabhingen. Es sah aus, wie im Warenlager eines Bekleidungsgeschäfts, während es weiter hinten der Raum wieder technischer und kühlte wirkte. Große Kisten aus schwarzem Plastik standen dort herum und dahinter sah man eine Wand, die bis zur Decke nur aus großen Metallschubladen bestand. Lediglich in der Mitte des Raums war ein Areal von mehreren Metern Länge und Breite freigelassen, wo eine Art Rampe aufgebaut war, auf der hinter Plastikplanen allerlei Gegenstände und Gerätschaften herumstanden.
"Tut mir Leid für das Chaos.", sagte Fiona, "aber ich habe früher gelehrt und noch soviel Material und Projekte aus dieser Zeit."
"An einer Uni?"
"Ja, 12 Jahre am Institut für Anatomie und Pathologie der Universität Heidelberg, aber das hier ist alles von einer kleinen privaten Kunstakademie, wo ich bis vor einigen Jahren war."
"Wow.", entfuhr es Julia verwirrt, "Ich dachte, sie haben Kunst studiert oder so was."
"Nein.", sagte Fiona, "Was das angeht, bin ich Autodidakt, obwohl mir mein Studium natürlich einen ungeheuren Vorteil bei der Arbeit mit dem menschlichen Körper verschafft. Ich habe Medizin studiert und mehrere Jahre als Gefäßchirurgin gearbeit. Darum auch die ganzen Poster und Proben. Ich werde das Zeug einfach nicht los."
Sie lachte, doch Julia fuhr ein leichter Ekelschauer über den Rücken. Denn jetzt sah sie auch, was in vielen der Glaszylinder war. Offensichtlich präparierte Körperteile und Organe. Dahinter anatomische Poster mit Innenansichten von Körpern. Die junge Frau ließ sich jedoch nichts anmerken und schaute zu der Rampe in der Mitte, mit dem komischen zeltartigen Plastikplanen. Sie wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.
"Und da arbeiten sie?"
"Ja.", sagte Fiona und bedeutete der blonden Studentin mitzukommen, "Zur Zeit arbeite ich an der vitruvianischen Frau."
Julia zuckte hilflos mit den Schultern und blickte zu einem Gestell mit Schabern, Gummischläuchen, Spachteln, feinen Sägen und anderem Werkzeug. Sogar ein kleiner Bohrer lag da.
"Kenne ich nicht.", sagte sie langsam und Fiona musste lachen.
"Aber du kennst den vitruvianischen Mann.", sagte sie bestimmt und schob die Plastikplanen des Zelts beiseite, "Es ist diese gezeichnete Figur, die auf alle Krankenkassenkarten gedruckt ist. Leonardo da Vinci zeichnete sie 1490 nach den von dem römische Architekten Vitruv formulierten idealen Proportionen. Aber darf ich vorstellen ... Tina, die vitruvianische Frau."
Sie zeigte auf eine Art plastikbezogenes Bettgestell auf der Rampe mit einem großen schwarzen blickdichten Kasten am Kopfende, der dort wie verschweißt war. Julia blieb stehen. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie starrte auf den erstaunlich lebensecht aussehenden nackten glattpolierten Gipstorso einer großbrüstigen Frauenstatue mit geradezu erigiert abstehenden Brustwarzen, deren Schulterpartie mit dem Kopf komplett in dem hermetisch versiegelten schwarzen Kasten verschwunden war. Es war einfach nur grotesk und Julia spürte ein übles Gefühl im Magen. Die Beine, und unsichtbar wohl auch die Arme, waren nur als bis zu den Gelenken reichende Stümpfe geformt und wie zu einem kurzen X abgespreizt, wobei die Stumpfenden seltsam nahtlos in einen großen polierten Metallring übergingen, der um die gesamte Figur herumlief und in dem schwarzen Kasten verschwand.
Wie ein Hulahoopreifen, dachte Julia unglücklich und sie war nur froh, dass die auf dem Rücken liegende Statue, die überall mit seltsamen Strichlinien markiert war, den Schritt mit einem grünen Stofftuch verhüllt hatte, unter der mehrere bizarr große Wölbungen zu sehen waren. Julia wollte sich gar nicht vorstellen, was dort herausragte.
"C-cool.", druckste sie und versuchte ein Lächeln, "Ich w-wusste nicht, dass ... dass die Statuen Namen haben."
"Oh doch Julia.", sagte Fiona und zwinkerte ihr zu, "Ein wichtiger Teil des Ganzen. Es macht es so persönlich. Findest du nicht?"
"Hm.", druckste Julia, "Also ja doch, es ist nur echt krass. Diese Vitruvgeschichte, meine ich ..."
"Ja.", sagte Fiona, "Besonders für mich als Medizinerin, hat sich hier auch ein Traum erfüllt. Etwas was ich schon lange machen wollte."
"Hm, warum haben sie nicht eher?", sagte Julia.
Fiona DiSteffano schien einen Moment zu überlegen.
"Ich hatte die richtige Muse lange Zeit nicht.", sagte sie dann, "Ich brauchte jemand mit den richtigen Proportionen. Ich hatte alles genau im Kopf. Groß, weiblich, ein A-Typ mit vollen schweren Brüsten, mindestens C. Ich brauchte jemand, zu dem diese Pose passte. Man kann nicht einfach drauflos arbeiten und als ich meine Muse schließlich fand, brauchte ich fünf Jahre, bis es mir gelang, sie und ihre Freundin für mein Projekt zu begeistern. Ein weiteres, um die nötigen Arbeiten durchzuführen."
"Ganz schön lange.", sagte Julia leise und Fiona nickte.
"Ja, aber man muss gründlich sein. Kunst ist eine emotionale Sache, sowohl für den Künstler als auch das Modell und von diesen Emotionen müssen so viele wie möglich in das Endprodukt. Ein fordernder, oft quälender Vorgang, aber das Resultat ist es wert. Findest du nicht?"
Julia zuckte mit den Schultern.
"Ich kann so was nicht einschätzen."
"Nun.", sagte Fiona lachend, "Vieleicht finden wir es gemeinsam heraus."
"Gemeinsam? Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich so was hier möchte."
Fiona lachte.
"Aber für dich müssten wir eine ganz andere, deinem Charakter individuell angemessen Pose finden. Doch das meinte ich ja gar nicht. Du sollst mir bei der Arbeit mit Tina helfen."
"Ach so.", sagte Julia unsicher und ließ ihren Blick erneut über den Torso streifen, "Was soll ich da machen?"
"Nur assistieren. Wenn du mitmachst, löst es vielleicht deine Vorurteile. Ich habe drüben einen Katalog mit meinem Skizzenbuch."
Sie verließ die Rampe und Julia folgte ihr mit einem Seufzer. Wenn sie bloß nicht das Geld gebraucht hätte, dachte sie, fragte sich jedoch mittlerweile fast andauernd, warum sie nicht auf Jule gehört hatte. Ihre Freundin hatte gleich gesagt, dass DiSteffano komisch war und das hier war wirklich wie ein Gruselkabinett, dachte Julia und blickte zu den verlassen herabhängenden Gummipuppen, neben denen Fiona jetzt an einem großen Campingtisch mit zwei Stühlen stand.
Julia nickte kläglich. Sie sah ein großes Heft auf dem Tisch und daneben zwei Gläser und eine Flasche. Sie schaute noch einmal zu dem stummen schweigenden weißen Torso und ging dann zu Fiona herüber, die ihr jetzt ein Glas hinhielt.
"Prost.", sagte sie und lächelte, "Nur eine kleine Apfelschorle."
Julia nahm einen Schluck und setzte sich hin.
"Danke.", sagte sie und blickte zu der plastikplanenverhangenen Rampe zurück, die jetzt etwas medizinisches, wie von einem Sauerstoffzelt hatte, "Warum ist der Kopf unter diesem schwarzen Kasten da eigentlich?"
"Ich arbeite stets zuletzt am Kopf. Ich will mich nicht ablenken lassen und häufig verändert sich auch Ausdruck des Modells im Lauf der Arbeit auch enorm. Dem trage ich so Rechnung."
Julia nickte schwach und nahm einen weiteren Schluck, während Fiona ihr Skizzenbuch aufschlug. Ohne es Julia direkt zu zeigen, begann sie mit Fachbegriffen und hochgestochenen Phrasen um sich zu werfen, dass es Julia ermüdete. Immer müder wurde sie und schließlich konnte sie es nicht mehr ändern. Sie gähnte unkontrolliert und wurde rot vorVerlegenheit, doch Fiona schien es nicht zu stören und lächelte nur mysteriös. Julia wurde unbehaglich, doch plötzlich wurde es zuviel und sie begann zu zittern.
"Was ist los?", fragte Fiona, doch irgendwie wirkte sie nicht überrascht und Julia wollte aufstehen.
Das hier war einfach alles zu viel für sie und sie wollte nur noch weg.
"Mir ist schlecht.", sagte sie leise und sackte zu Boden.
Zitternd und kaum mehr empfindungsfähig lag sie da. Den Mund mit den schönen geschwungenen Lippen krampfartig auf und zu gehend, sah sie wie in einem Traum, wie Fiona zu einer der schwarzen Gummipuppen ging und etwas mit einem Ruck aus ihr herauszog, was ein furchtbares unmenschliches Stöhnen zur Folge hatte. Literweise Wasser lief auf die Erde und die Puppe in ihrem Traum begann wild zu zappeln. Fiona ließ sie herab und man erkannte grob, dass der linke Arm und das rechte Bein fehlten. Nichts stimmte mit der Puppe, die sich jetzt dumpf und entsetzlich unter einer dicken Gummihaube stöhnend aufrichtete. Die Puppe war völlig schief und dort wo die Taille hätte sein müssen war nur ein aberwitzig schmaler glänzender Ring.
Die Gestalt, die dort auf sie zukroch war so unmenschlich, dass Julias entsetzter Verstand es ihr nicht anders erklären wollte, als dass sie ohnmächtig war und träumte und die Finger, die sie in ihrem Mund, an ihren Zähnen und auf ihrem Körper spürte und vorsichtig auskleideten, nichts als schreckliche Einbildung waren.
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